Was ist eigentlich ein "atmender Deckel"?
Darum geht’s: Den Ausbau der erneuerbaren Energien steuern
Etwas deckeln – diesen Ausdruck kennt man. Wer Ausgaben deckelt, begrenzt ihren Anstieg nach oben. Meist ist dieser Deckel fest verschraubt wie bei einem Marmeladenglas. Die Botschaft lautet: So viel soll rein und nicht mehr. Ein "atmeder Deckel" hingegen passt sich dem Füllstand des Gefäßes an: Wird das Gefäß zu voll, drückt er nach unten und verhindert so, dass mehr hineinkommt. Bei niedrigem Füllstand kann sich der Deckel aber auch nach oben wölben, um das Volumen des Inhalts durch Unterdruck zu vergrößern.
Beim "atmenden Deckel" handelt es sich um ein bewährtes Instrument des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Er wurde als Marktinstrument mit dem EEG 2012 eingeführt und hat erfolgreich zur Senkung der Vergütungssätze bei Photovoltaik (PV)-Anlagen beigetragen. Grundidee: Bei starkem Marktwachstum und damit verbundenen hohen Zubauzahlen sinken die Vergütungsätze schneller als bei langsamem Marktwachstum und niedrigeren Zubauzahlen.
Bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2014 wurde diese Logik auf Windenergie an Land und Biomasse übertragen. Mit der Novelle war das Ziel verbunden, den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker zu steuern und den Kostenanstieg bei der Einspeisevergütung spürbar zu bremsen. Für den jährlichen Zubau der einzelnen Technologien wie PV oder Windenergieanlagen wurden deshalb Ausbaupfade definiert. In bestimmten Zeitabständen werden die Fördersätze um einen festgelegten Prozentsatz reduziert, es sei denn – und hier kommt die Atmung ins Spiel – der Zubau der installierten Leistung liegt stark über oder unter dem im EEG definierten Ausbaupfad. Dann wird dieser Prozentwert, auch Degression genannt, angepasst, um gegebenenfalls über einen geringeren oder höheren Vergütungsanreiz die Menge der installierten Leistung zu steuern. Zuständig für die Anpassung und Veröffentlichung der Fördersätze ist die Bundesnetzagentur.
Beispiel Photovoltaik: Fördersatz bleibt stabil
Bei der Vergütung von PV-Anlagen funktioniert der atmende Deckel folgendermaßen: Bewegt sich der Zubau von PV-Anlagen im Zielkorridor, wird die Förderung monatlich um 0,5 Prozent gekürzt. Liegt der Zubau über dem Korridor, wird die Förderung noch stärker abgesenkt – um bis zu 2,8 Prozent pro Monat. Bleibt der Zubau hinter den Zielvorgaben zurück, wird weniger stark gekürzt, gar nicht gekürzt oder die Einspeisevergütung sogar erhöht.
Seit dem 1. Oktober 2015 sind die Fördersätze für PV-Anlagen stabil. Die Degression wurde ausgesetzt, beträgt also 0 Prozent. Der Grund: Der Zubau von PV-Anlagen blieb mit jeweils rund 1.500 Megawatt (MW) in den vergangenen beiden Jahren hinter dem Ausbaupfad von 2.500 MW zurück. Zum Vergleich: 1.500 MW entsprechen etwa 50.000 PV-Anlagen unterschiedlicher Größenklassen.
Der Bezugszeitraum für den atmenden Deckel beträgt seit der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017 (EEG 2017) nur noch sechs Monate statt einem Jahr. So kann der atmende Deckel schneller auf Marktentwicklungen reagieren. Nach dem neuen EEG dürfen auch die Vergütungssätze etwas schneller wieder steigen, wenn der Zielkorridor deutlich unterschritten wird. Das wäre bei einem Zubau von weniger als 1.400 MW der Fall.
Für Solaranlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 750 Kilowatt (kW) wird die Förderhöhe inzwischen über wettbewerbliche Ausschreibungen ermittelt (mehr dazu lesen Sie hier). Kleine PV-Anlagen bis 750 kW, zu denen auch Solaranlagen auf privaten Ein- und Zweifamilienhäusern zählen, erhalten weiterhin die feste, gesetzlich geregelte Einspeisevergütung, die mithilfe des atmenden Deckels bestimmt wird.
Beispiel Windenergie an Land: Fördersatz sinkt
Auch bei Windenergieanlagen an Land wird die Höhe der Vergütung seit 1. Januar 2016 durch das System des atmenden Deckels gesteuert. Weil der Netto-Zubau seit Beginn des sogenannten Bezugszeitraums immer deutlich über dem Zielkorridor von 2.400 bis 2.600 MW pro Jahr lag, wurden die Fördersätze seit Einführung des atmenden Deckels um 6 Prozent gesenkt. Wegen des starken Zubaus hat der Gesetzgeber kurzfristig eine gesonderte Reduzierung festgelegt: Von März bis August 2017 wird die Vergütung um monatlich 1,05 Prozent verringert. Ab Oktober 2017 setzt dann wieder die quartalsweise Vergütungsabsenkung nach dem Prinzip des atmenden Deckels ein. Ab dann wird die Einspeisevergütung bei anhaltend sehr starken Zubauraten von über 3.500 MW jährlich um 2,4 Prozent pro Quartal reduziert. So ist es durchaus möglich, dass Windenergieanlagen, die im ersten Quartal 2018 in Betrieb gehen, nur noch etwa 7,5 Ct/kWh erhalten. Das wäre dann im Vergleich zum Jahr 2015 eine Reduzierung um mehr als 15 Prozent.
In Zukunft wird die Förderhöhe nicht mehr durch den atmenden Deckel festgelegt, sondern ebenfalls durch Ausschreibungen ermittelt. Dabei gilt eine Übergangsregelung: Betreiber von Anlagen, die bis Ende 2016 genehmigt worden sind und bis Ende 2018 in Betrieb gehen, können sich bis 28. Februar 2017 entscheiden, ob sie an den wettbewerblichen Ausschreibungen teilnehmen oder wie bislang eine Vergütung nach festem Satz und unter dem atmenden Deckel in Anspruch nehmen wollen. Insgesamt sollen in diesem Jahr 2.800 MW ausgeschrieben werden. Am 1. Mai 2017 findet die erste Ausschreibungsrunde für Anlagen ab einer installierten Leistung von 750 kW statt.