kontrovers
"Bedeuten mehr Speicher weniger Netzausbau?"

Zu dieser Frage äußern sich Prof. Dr. Eicke R. Weber, Präsident des Bundesverbands Energiespeicher (BVES) und Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft an der TU Dortmund.

Prof. Dr. Eicke R. Weber

Portrait von Professor Dr. Eicke R. Weber, Präsident des Bundesverband Energiespeicher e.V © BVES

Präsident des Bundesverbands Energiespeicher (BVES):

"Die Energiewende führt dazu, dass bereits heute regenerative Energie nicht immer dort bereitgestellt wird, wo sie – und vor allem wenn sie – auch gebraucht wird. Im windstarken Norden Deutschlands zum einen, im sonnenreichen Süden zum anderen. Doch selbst ein maximaler Netzausbau, die viel zitierte Kupferplatte, kann ein grundsätzliches Problem nicht lösen: die Volatilität von Wind- und Sonnenenergie. Speicher dagegen helfen, Strom aus Erneuerbaren klimafreundlich und vor allem bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Da Netze Strom unabhängig vom eigentlichen Bedarf transportieren, müssen heute Windparks bei Überschüssen immer häufiger abgeregelt werden, um das Netz stabil zu halten. Der nicht-eingespeiste Strom wird trotzdem nach EEG-Einspeiseverordnung vergütet. Speicher hingegen können Überschüsse auffangen und bei Bedarf wieder ins Netz zurückspeisen. Dezentrale Speicher bei privaten oder industriellen Stromkunden helfen den Eigenverbrauch des selbst hergestellten Stroms beträchtlich zu erhöhen, und so die Inanspruchnahme von Einspeisetarifen zu reduzieren. Zudem können sie mithilfe z.B. der Elektrolyse Wasserstoff zur Verfügung stellen oder durch Wärmepumpen erzeugte Nutzwärme speichern und damit weitere Verwendungsfelder für den regenerativen Strom öffnen. Dieser kann langfristig in großen Mengen gespeichert werden. Somit gleichen sie die zeitlichen und räumlichen Unterschiede zwischen Erzeugung und Verbrauch aus und fangen die Lastschwankungen im Netz auf, die durch die zunehmende Einspeisung von volatilen Energien entstehen. Damit leisten sie nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur Stabilität der bestehenden Netze, sondern gewährleisten auch die Versorgungssicherheit für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Integration von erneuerbarem Strom in das Netz oder die Sektoren Wärme und Verkehr.

Im Zuge der Energiewende tragen Speichertechnologien dazu bei, erneuerbare Energien zu einer gesicherten und grundlastartigen Leistung aufzuwerten. Dies fördert nicht zuletzt die Akzeptanz der Bevölkerung für die Energiewende, da damit das Hauptproblem der Erneuerbaren, die fluktuierende Einspeisung und die damit verbundenen Systemkosten, signifikant reduziert werden. Statt ausschließlich auf zusätzliche Netzkapazitäten zu setzen, sollte der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Ausbau von Speichern einhergehen. Denn mittel- und langfristig betrachtet sind sie eine sehr effiziente Option, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten und wesentlich zur Reduktion der CO2-Emissionen beizutragen. Die sinnvolle Nutzung der bestehenden und der zusätzliche Aufbau weiterer Speichertechnologien ist neben dem Netzausbau ein komplementäres Element einer erfolgreichen Umsetzung der Energiewende."

Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz

Portrait von Prof. Dr. Christian Rehtanz, TU Dortmund © TU Dortmund

Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft an der TU Dortmund:

"Das Stromnetz ist der Marktplatz der Elektrizitätsversorgung: Hier müssen alle Teilnehmer möglichst frei handeln können. Der Netzbetreiber kann nur in außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Situationen in den Markt eingreifen. Speicher sind genauso wie Stromerzeuger ein Teilnehmer auf diesem Markt. Wie sie sich verhalten, also wann sie Leistung abgeben oder aufnehmen, ist für den Netzbetreiber kaum vorhersehbar. Ob Speicher netzfreundlich oder netzschädlich sind, das heißt zu mehr oder weniger Netzausbau führen, hängt aber von diesem Verhalten und damit von den zu erwartenden Marktsituationen ab. In jedem Fall und auf jeder Netzebene gilt, dass das Netz zwei Extremsituationen sicher beherrschen muss: die maximal erwartete Lastsituation sowie die maximal erwartete Rückspeisesituation.

Warum das so ist, zeigt sich, wenn man beispielhaft auf unterster Netzebene das Verhalten der Speicher betrachtet, die in Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen zur Eigenbedarfsdeckung eingesetzt werden. Wenn ein derartiger Speicher in den Morgenstunden vollständig aufgeladen wird, kann zur Mittagszeit die maximale Photovoltaikleistung ins Netz abgegeben werden. Dafür muss das Netz ausgelegt sein. Genauso kann es im Winter und bei fehlendem Sonnenschein passieren, dass Speicher durch die Photovoltaik nicht geladen werden, sie aber Überkapazitäten aus Windenergie aufnehmen, da diese am Markt sehr günstig zu beziehen ist. Zur "normalen" Netzlast würde also noch die Lastleistung der aufladenden Speicher kommen. Das Netz müsste gegenüber dem Normalfall gegebenenfalls sogar verstärkt werden. Diese Betrachtung gilt letztendlich analog auf allen Netzebenen.

Auch wenn diese Situationen nur selten auftreten, so müssten sie als Extremsituationen bei der Netzauslegung berücksichtigt werden. Das gilt zumindest solange, wie Netzbetreiber keine Eingriffsmöglichkeiten haben, den Speicherbetrieb netzfreundlich zu beeinflussen. Zudem muss gesagt werden, dass in den allermeisten Fällen ein Netzausbau bei weitem wirtschaftlicher ist als die spezielle Errichtung von Speichern. Zusammengefasst kann somit festgehalten werden, dass Speicher, cum grano salis, den Netzausbau nicht reduzieren."

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