kontrovers
"Schafft die Energiewende Wachstum und Jobs in Deutschland?"

Zu dieser Frage äußern sich Ulrike Lehr, Leiterin des Bereichs Energie und Klima der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS), und Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo).

Ulrike Lehr

Portrait von Ulrike Lehr, Leiterin des Bereichs Energie und Klima der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) © GWS

Leiterin des Bereichs Energie und Klima der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS):

"Die Energiewende führt energieeffizientes Wirtschaften und den Umstieg auf erneuerbare Energien in einem global schnell wachsenden Bereich zusammen, in dem deutsche Unternehmen traditionell die Weltmärkte beliefern. Sie bietet mit ihren Zielen Orientierung für die strategische Planung, was erfahrungsgemäß das Investitionsklima gerade auch in Krisenzeiten verbessert.

Der Ausbau erneuerbarer Energien hat bereits in vielen Branchen zum Wachstum beigetragen, etwa in der Herstellung von Wechselrichtern, von Produktions- und Fertigungsanlagen oder von Windkraftanlagen. Der öffentlich viel diskutierte Einbruch bei der Herstellung von Solarmodulen wie bei traditionellen Stromanbietern verdeckt die Vielfalt dahinter. Neue Geschäftsmodelle zu Netzintegration zeigen ebenso die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wie das Interesse junger Leute sich in mehr als 140 Studiengängen die Technik und die Vermarktung erneuerbarer Energien als zukünftiges Berufsfeld anzueignen. Beides ist Voraussetzung für zukünftiges Wachstum und Beschäftigung.

Die Steigerung der Energieeffizienz lohnt sich vielfach wirtschaftlich, zumal sie die Importabhängigkeit verringert und Ressourcen spart. Viele internationale Organisationen bestätigen dies. Allerdings braucht sie teilweise zusätzliche Anreize, da sie sich für das kurzfristige unternehmerische Kalkül nicht immer schnell genug rentiert.

Die bisherigen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende sind in allen Untersuchungen, die auch die wirtschaftlichen Verflechtungen sehen und sich nicht auf eine Aufzählung von Einzelaspekten stützen, positiv bewertet worden. Ob die Energiewende auch in Zukunft Wachstum und Jobs in Deutschland schafft, hängt auch davon ab, wie ernst sie von Politik und Unternehmen genommen wird. Die Energiewende ist kein Wundermittel für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Wird sie für temporär gehalten, werden die wichtigen zukunftsweisenden Investitionen im Sinne der Energieeffizienz und des Umstiegs auf erneuerbare Energien ausbleiben. Wird sie kontinuierlich fortgesetzt, werden Wachstum und Beschäftigung langfristig gefördert."

Prof. Hans-Werner Sinn

Portrait von Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts © ifo Institut

Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo):

"Die Energiewende verlagert Kaufkraft aus den traditionellen Konsum- und Investitionsgüterbranchen in jene Branchen, die die Windturbinen, Solarpaneelen und andere Gerätschaften, die für den alternativen Strom nötig sind, herstellen. Diese Verlagerung erzeugt trivialerweise brutto in den profitierenden Branchen Arbeitsplätze, doch heißt das natürlich nicht, dass sie netto solche Arbeitsplätze schafft, denn in den traditionellen Sektoren, aus denen die Kaufkraft abgezogen wird, gehen Arbeitsplätze verloren. Wer behauptet, dass netto Arbeitsplätze entstehen, muss nachweisen, dass die Kapitalintensität der Produktion in den neuen Sektoren kleiner ist als in den alten. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Im Übrigen gehört es zu der Perversion der öffentlichen Debatte, dass man es als Vorteil ansieht, wenn die Energieversorgung mit möglichst viel Arbeitseinsatz realisiert wird. Eine solche Aussage ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass es ein Ziel des Staates sein sollte, teure Produktionswege zu bevorzugen. Wer das für richtig hält, sollte erst einmal die Rechnungshöfe abschaffen.

Auch die beliebte Behauptung, die Energiewende müsse öffentlich subventioniert werden, weil der deutschen Industrie dadurch neue Märkte erschlossen werden können, steht auf wackligen Beinen, weil sie unterstellt, der Staat könne die weltweite Marktentwicklung besser beurteilen als private Investoren. Da die Welt keinerlei Anstalten macht, der deutschen Energiewende zu folgen, sondern sich von ihr abwendet (Fracking, Wiedererstarken der Atomkraft in Schweden, Japan, Polen, Spanien etc.), zeigt sich der Prognosefehler schon jetzt."

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